Rente
ALTERSSICHERUNG
Höhere Rentenausgaben sind finanzierbar
Manche Expertinnen und Experten warnen, das Niveau der gesetzlichen Rente sei angesichts des demografischen Wandels nicht dauerhaft haltbar. Doch ihre Berechnungen beruhen auf anfechtbaren Annahmen, wie eine vom IMK geförderte Analyse zeigt.
Höhere Ausgaben für die Rentenversicherung sind nicht schädlich für Wachstum und Beschäftigung – auch dann nicht, wenn sie aus Steuermitteln bezuschusst werden. Das zeigt eine Studie von Camille Logeay von der Berliner Hoch- schule für Technik und Wirtschaft, Florian Blank vom WSI und Rudolf Zwiener. In ihrer Analyse haben die Forscherin und die Forscher simuliert, wie sich alternative Finanzie- rungen höherer Rentenausgaben auswirken. Anders als in vielen neoklassisch geprägten Modellen kommen Logeay, Zwiener und Blank in ihren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass die Beitragssätze für die gesetzliche Rente bei stabilem Leistungsniveau auch bei einer wachsenden Zahl von Rent- nern und Rentnerinnen tragbar sind.
Zweifellos stellt der demografische Wandel eine He- rausforderung für die Alterssicherung dar. Bei einer al- ternden Bevölkerung kommen weniger Beitragszahlende auf mehr Rentenbeziehende, wenn sich nicht gleichzei- tig die Lage am Arbeitsmarkt weiter verbessert oder Grup- pen wie Selbstständige oder Beamtinnen und Beamte ein- bezogen werden. Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Rente bestimmte Regeln vorgegeben: Aktuell gilt die so- genannte doppelte Haltelinie. Bis 2025 soll der Beitrags- satz nicht über 20 Prozent steigen und das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken. Bis 2030 sollen die Marken von 22 Prozent beziehungsweise 43 Prozent halten. Diese Werte stellen gewissermaßen den rentenpolitischen Mi- nimalkonsens dar. Einige Wirtschaftswissenschaftler und
-wissenschaftlerinnen warnen vor steigenden Beitrag-
sätzen, weil sie dadurch „ökonomische Verwerfungen“ be- fürchten. Höhere Beiträge seien nicht finanzierbar und wür- den der Volkswirtschaft schaden. Die Kritik bezieht sich meist nur auf die gesetzliche Rente, mögliche Probleme der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge, für die Beschäf- tigte Geld bei derzeit schwachen Renditen zurücklegen sol- len, sind dagegen kaum Thema. Eine erstaunliche Veren- gung, wie Logeay, Zwiener und Blank hervorheben.
Die Kritik an Beitragssatzerhöhungen in der Rentenver- sicherung baue zudem fast immer „auf denselben neoklas- sischen Modellannahmen“ auf, schreiben die Forschenden. Darin würden Sozialbeiträge hauptsächlich als Kostenfaktor betrachtet, während die Nachfrage- und Umverteilungseffek- te übersehen werden oder unterbelichtet sind. Es werde in manchen Modellen weitgehend ignoriert, dass die zusätzli- chen Einnahmen der Rentenversicherung nach einer Beitrags- anhebung sofort weitergegeben werden und sich dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sogar erhöht. Das Geld, das Rentnerinnen und Rentner erhalten, fließt zurück in den privaten Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum steigert. Das makroökonometrische Modell des IMK berück- sichtigt den Nachfrageeffekt und weitere Faktoren stärker. Es folgt keynesianischen Überlegungen und unterscheidet sich
damit stark von den meisten anderen Makromodellen für Deutschland.
In vier Szenarien simulieren die Forschenden, wie sich neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) weitere Kennzahlen wie Schuldenstand, Haushaltseinkommen oder Lohnstück- kosten entwickeln, wenn mehr Geld in die gesetzliche Al- terssicherung fließt. Die Ergebnisse vergleichen sie mit ei- ner Basissimulation ohne zusätzliche Aufwendungen.
Höhere Rentenausgaben und höhere Beiträge
Im ersten Szenario werden die makroökonomi- schen Effekte einer Beitragssatzerhöhung um
einen Prozentpunkt simuliert – hälftig aufgeteilt auf Beschäf- tigte und Arbeitgeber. Die zusätzlichen Einnahmen werden gleich wieder für höhere Renten ausgegeben. In diesem Sze- nario liegen das reale BIP und die Beschäftigung nach zwei Jahren um knapp 0,1 Prozent über dem Niveau der Basissi- mulation. Dieser minimale positive Effekt wird bis zum fünf- ten Jahr noch etwas stärker und verschwindet dann langfris- tig wieder, ohne negativ zu werden. Zustande kommt er im Wesentlichen durch einen Anstieg des realen privaten Kon- sums. Letztlich überwiegen die deutlichen Zuwächse bei den Transfereinkommen der privaten Haushalte die geringen relativen Rückgänge bei den Nettolöhnen und den verteilten Gewinnen. In begrenztem Umfang findet eine Umverteilung hin zur steigenden Zahl der Rentnerinnen und Rentner statt. Dabei muss man beachten, dass die heutigen Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer später selbst von einem stabi- len Rentenniveau profitieren und deshalb keine oder weniger private Altersvorsorge betreiben müssen. Unter dem Strich steigt das reale verfügbare Einkommen der privaten Haus- halte langfristig im Schnitt um 0,2 Prozent gegenüber der Basissimulation. Geschmälert werden die positiven Effekte durch eine etwas schlechtere Entwicklung bei den Exporten. Diese steigen wegen der höheren Lohnstückkosten langfris- tig um 0,2 Prozent geringer an. Die Verbraucherpreise sind nach fünf Jahren ebenfalls 0,2 Prozent höher.
Höhere Beiträge ohne Erhöhung der Ausgaben
Im zweiten Szenario wird eine – unrealistische
– Beitragssatzerhöhung ohne gleichzeitig hö- here Rentenzahlungen simuliert. Dabei schrumpfen das reale BIP und die Zahl der Beschäftigten um bis zu einem halben Prozent gegenüber der Basissimulation, der reale private Konsum sogar um 0,8 Prozent. Trotzdem liegen die Verbraucherpreise in den ersten fünf Jahren bis zu 0,2 Pro- zent höher als in der Basissimulation, ähnlich stark wie im
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ersten Szenario. Erst anschließend geht die Teuerung leicht zurück. Der Wirtschaft schadet der Entzug an Kaufkraft, weil die Beitragssatzerhöhung nicht in die Binnennachfra- ge zurückfließt. Letztlich leiden darunter alle – Beschäftigte, Unternehmen und Rentenbeziehende. „Diese Ergebnisse sind insofern bedeutsam, weil einige Rentenmodelle impli- zit ein solches realitätsfernes Simulationsdesign unterstel- len, wenn sie die Effekte von höheren Beitragssätzen simu- lieren“, schreiben die Forschenden.
Höhere Ausgaben finanziert durch direkte Steuern
Im dritten Szenario werden die direkten Steu- ern – zum Beispiel Einkommenssteuer und Körperschaftssteuer – zur Finanzierung der zusätzlichen Rentenzahlungen erhöht, wobei die gleichen zusätzlichen Einnahmen und die gleichen zusätzlichen Rentenausga- ben wie im ersten Szenario unterstellt werden. Die wieder- um leicht positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte fallen sehr ähnlich wie im ersten Szenario aus. Unterschie- de werden aber deutlich bei der Preisentwicklung und den Komponenten des BIP. So gibt es hier keine Erhöhung der Verbraucherpreise und der Löhne und somit auch keine ne- gativen Effekte bei den realen Exporten. Gleichzeitig fällt der positive Effekt beim privaten Konsum etwas schwächer aus. Die Lohnquote steigt nicht wie im ersten Szenario, son- dern bleibt in etwa konstant. Die Unterschiede sind aller-
dings nicht groß.
Höhere Ausgaben finanziert durch höhere Verbrauchssteuern
Im vierten Szenario werden die Verbrauchs- steuern erhöht und zur Finanzierung der zu-
sätzlichen Rentenzahlungen verwendet. Die Effekte auf der Einnahmen- und Ausgabenseite fallen genauso stark aus wie im ersten und dritten Szenario. Auch die Lohnstück-
kosten und damit die Exporte entwickeln sich mit höheren Verbrauchssteuern langfristig wie nach einer Beitragssatz- erhöhung. Allerdings würden im vierten Szenario die Ver- braucherpreise stärker steigen. Gleichzeitig würden zwar auch die Nominallöhne zulegen, dieser Anstieg wäre aber nicht hoch genug, um einen leichten Rückgang der Reallöh- ne – im Vergleich zur Basissimulation – zu verhindern.
Fazit: Steuern als Alternative zu höheren Beiträgen
Anders als vielfach behauptet gebe es keinen Gegensatz zwischen finanzieller und sozialer Nachhaltigkeit, erklä- ren Logeay, Zwiener und Blank. Auch höhere Renten sei- en finanzierbar, ohne negative Effekte auf Wachstum und Beschäftigung. Falls Rentenzahlungen stärker über hö- here Steuern finanziert werden, hätte das allerdings deut- liche Verteilungseffekte, vor allem bei einer Erhöhung der progressiven Einkommenssteuern. In dem Fall würden alle Steuerpflichtigen einbezogen, auch die bisher nur unge- nügend an der Finanzierung sogenannter „versicherungs- fremder Leistungen“ beteiligten Gruppen wie Selbstständi- ge, Beamte und Beamtinnen und Personen mit sehr hohem Einkommen. Sie würden stärker belastet, während die Be- lastung von Beschäftigten mit niedrigen beziehungsweise mittleren Einkommen – relativ betrachtet – sinken würde. Dies sei auch erwünscht, schließlich entspreche es „dem Prinzip einer gerechteren Abgabenstruktur im Sinne der Leistungsfähigkeit“, schreiben die Forschenden. Die indivi- duelle Belastung durch Beiträge für die Sozialversicherung würde begrenzt, was die Akzeptanz von in Zukunft steigen- den Rentenausgaben erhöhen und die Lohnstückkosten nicht direkt beeinflussen würde. „Will man also in Zukunft Beitragssatzanhebungen zumindest begrenzen, dann ste- hen – vor allem – Steuern als Finanzierungsalternative zur Verfügung“, so das Fazit.<
Quelle: Camille Logeay, Rudolf Zwiener, Florian Blank:
Nachhaltigkeit in der Rentenversicherung in Zeiten des demografischen Wandels? Analyse zu den makroökonomischen Effekten einer Beitragssatzerhöhung in der Rentenversicherung, IMK Study Nr. 76, Februar 2022
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